18.05.2024 – Vor kurzem habe ich auf diesem Blog über meinen Medienkonsum geschrieben. Dieser Status war ungewöhnlich kurzweilig, denn ich stehe vor einer schwierigen Entscheidung. Warum ich nach einem neuen Medienportal suche und was meine Misere mit Jeff Bezos zu tun hat.
Noch im Januar habe ich hier geschrieben, dass ich die Washington Post allen empfehle, die sich gerne direkter über die Situation in den USA informieren möchten. Um das zu Beginn gleich zu etablieren: obschon ich noch immer der Meinung bin, dass eine gute Innenansicht eines Landes nur durch ein lokales Medium gegeben werden kann, empfehle ich dafür die Traditionszeitung Washington Post nicht mehr. Und das hat einen triftigen Grund.
Bereits als ich mit dem Lesen der Washington Post angefangen habe, war ich mir dessen Besitzverhältnisse bewusst. Wie viele amerikanische (und mittlerweile auch europäische) Medienhäuser, seien sie noch so bedeutend, ist die Zeitung in der Hand eines grossen Moguls. Bei der Washington Post ist es Jeff Bezos, einer der reichsten Menschen der Welt, bei anderen Medien sind es Namen wie Arthur Gregg Sulzberger (New York Times), Rupert Murdoch (u.a. Wall Street Journal und Fox News) und Michael Wanner (CH Media, TeleZüri, 3+, Watson, AargauerZeitung, BZ).
Inhaber:innen haben einen massiven Einfluss auf den Output eines Mediums. So wird der Ton von Artikeln in der Redaktionsleitung entschieden, welche sehr einfach durch den/die Inhaber:in kontrolliert werden kann, und nicht etwa durch die Journalist:innen selbst (Side Note: Aufgrund dessen hat die politische Gesinnung von Medienschaffenden einen untergeordneten Einfluss auf die politische Schlagseite eines Beitrags, anders als die teilweise von rechten Politiker:innen angeführt wird). Wie viel Einfluss die Besitzverhältnisse in jedem Fall tatsächlich haben ist jeweils schwierig einzuschätzen. Die Redaktion der Washington Post schien mir journalistische Standards hoch zu werten, die Beiträge schienen analytisch und kritisch. Deshalb habe ich mich für ein Abo bei der Zeitung entschieden.
Und dann kamen die Kontroversen… Alles fing an, als die Washington Post ein Endorsement für die Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris nicht abdruckte, nachdem Inhaber Bezos dies verhindert hatte. Bereits da zeigte sich die Macht, die der Amazon-Gründer über die Publikation hat. Kurz nachdem Trump in den USA an die Macht kam, wurde bekannt, dass Jeff Bezos der Meinungs-Seite der Washington Post strenge Vorgaben bezüglich des Inhalts macht. So sollen abgedruckte Meinungsbeiträge persönlicher Freiheit und freier Märkte nicht kritisch gegenüberstehen. Also ganz klar ein neo-liberaler Filter.
Auch wenn die News-Abteilung der Zeitung noch immer die Unabhängigkeit von der Direktion Bezos’ beteuert, wurde hier für mich eine Grenze überschritten. Ich werde also mein Jahresabonnement bei der Washington Post nicht erneuern. Es war eine schwere Entscheidung, schliesslich publizierte die Zeitung Beiträge aus aller Welt in den letzten Monaten einer (journalistischen) Qualität, von der wir hier in der Schweiz nur träumen können.
Die Quintessenz: Danke Jeff, dass du mir eine meiner Lieblings-Medien zerstört hast! Danke Donald, dass du dies förderst und sogar verlangst von deinen Billionaire-Buddies! Und einen besonderen Dank an den Kapitalismus und Liberalismus, welche beide hart an der Zersetzung unseres Medien-Systems arbeiten.
PS: Kennt jemand von euch eine unabhängige us-amerikanische Zeitung, die qualitativ mit der Washington Post mithalten kann? Ich bin froh um jeden Hinweis!
PPS: Dieser Beitrag ist auf einer 2h-Zugfahrt von Biel nach St. Gallen entstanden. Da ich diese Strecke öfters fahre, könnt ihr euch auf viele weitere „Mir ist im Zug langweilig“-Texte freuen 😉